Nora Leitgeb
Begonnen hat Helmut Blažej vor mehr als 30 Jahren mit dem Restaurieren von Bauernmöbeln. Auf die Dauer war ihm das zu wenig anspruchsvoll und zu wenig kreativ. Über Holzschnitte hat er schließ-lich zur Malerei gefunden. In der Zwischenzeit hat Helmut Blažej seinen Stil ge(er)funden und ihn perfektioniert. Seit Jahren ist er an Ausstellungen in Kärnten, Slowenien und Wien beteiligt.
Vormittag
Eine seiner letzten Reisen im Jahr 2000 führte ihn nach Spanien. Mit dem Fahrrad durchquerte er entlang des Jakobswegs Frankreich, Spanien und Portugal. Ziel der Reise war Santiago di Compostela. Er reist bevorzugt mit dem Fahrrad, um der Landschaft näher sein zu können, um die Stim-mungen der Natur intensiver wahrnehmen zu können. Aus den Impressionen dieses Unternehmens entsteht seit damals die Serie „Camina de Santiago“. Diese Reise hat ihm – wie schon viele Rei-sen zuvor – Material für unzählige Bilder geliefert.
Mittag
Sein Thema sind Landschaften. Landschaften in un-terschiedlichsten Stimmungen – morgens oder abends, taghell oder schattig, klar oder dämmrig. Er malt bevorzugt mit Acryl. Seine Wischtechnik ermöglicht ihm, die Oberfläche des Bildes fein zu strukturieren – wie Landschaften eben sind: ge-prägt von Unebenheiten, farbigen Kontrasten und verschiedenen Konturen. Schicht für Schicht be-deckt er das Bild mit Farben, bevor er meist in dunkleren Farbtönen seinen Pfad darin einzeich-net. Seine Landschaften sind nicht mimetisch. Es geht ihm nicht darum, Gesehenes exakt wiederzu-geben. Vielmehr sind seine abstrakten Naturbilder eine Mischung aus impressionistischen Stim-mungsbildern und expressiven Gefühlsentladungen. In seinen Bildern setzt er die Erinnerung an seine visuellen und emotionalen Erfahrungen, die er beim Durchqueren verschiedener Landschafts-formationen erlebt hat in farbige Oberflächen-strukturen um. In der Serie der „Buen camino“ herrschen die Erdfarben der Wege und Äcker, die Grüntöne der Wiesen und Felder oder die Gelb-schattierungen der Rapsfelder vor. Bestimmte Na-tursituationen sind ihm so eindringlich im Gedächtnis geblieben, dass er immer wieder aus dem Erlebten schöpfen kann.
Die Kreuzung
Aus vielen dieser Bilder erhebt sich eine Kreuzung gleich einer Spur, die sich mühelos in die Land-schaft einfügt. Zwei dominante Linien teilen das Bild und halten es gleichzeitig zusammen. Waren seine früheren Arbeiten in der Horizontale noch dreigeteilt, so sind die Bilder des Jakobswegs durch das Einzeichnen einer senkrechten und horizonta-len Linie, die bis über den Bildrand hinausführen, nun viergeteilt. Man kann eher meinen, unterteilt, da das Bild in der Teilung nicht auseinander bricht. Vielmehr tragen diese Linien zur Homogenität der Bildoberfläche bei. Überhaupt zeichnen eine sta-bile und ruhige Komposition die meisten seiner Bil-der aus. In nahezu allen Bildern des Künstlers spiegelt sich eine Dreiteilung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wieder. War diese in sei-nen früheren Arbeiten durch die horizontale Drei-teilung noch klarer formuliert, bleibt es nun dem Betrachter überlassen, die Spuren auf der Bild-oberfläche zu deuten. Zeigt der horizontale Strich in seinen Jakobsbildern das gegenwärtige, den Weg, den man gerade eingeschlagen hat? Weist die senkrechte Linie nach oben in den Himmel, in die Zukunft? Liegt die Vergangenheit unterhalb in der Erde unter der Erde? Und was ist die Kreu-zung? Kreuzt sich hier vielleicht Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft?
Nachmittag
Manchmal markiert der Künstler bestimmte Plätze, hebt diese besonders hervor, indem er ähnlich wie in eine Landkarte die Namen der Orte ins Bild ein-schreibt. Nur sind es nicht immer Namen von Städten oder Dörfern, sondern Namen von Orten, die dem Künstler in besonderer Erinnerung geblieben sind: BSP, BSP, BSP – ein Gebäude, eine Anhöhe, ein Platz. Das Schwarz der Schrift fügt sich einem markanten Zeichen gleich in die Landschaft. Aber nie wirkt die Schrift dem Bild aufgedrückt, viel-mehr mischt sie sich mit den anderen Farben in die Felder, Hügel oder den Himmel. Ähnlich den Vögeln, die hier und da durchs Bild gleiten. Die ge-schriebenen Markierungen gleichen Erinnerungsstützen. Es ist in der Benennung zwar eine nahe, in der Abstraktion aber weit entfernte Umsetzung der realen Schauplätze. Man bekommt Lust, den Weg selbst entlang zu schreiten, um die Orte in ihrer Ganzheit erfahren zu können.
Sonnenuntergang
Für Helmut Blažej ist die Malerei ein Akt der Entspannung, der Kontemplation. Aus seiner Erinnerung heraus fühlt er sich immer wieder in die Orte ein, die ihn mit so viel Emotion aufgeladen haben. Die Stimmungen der Landschaften sind so vielfältig. Hinzu kommen Helmut Blažejs Gefühle beim Durchwandern dieser Landschaften. Menschliche Gefühle mischen sich mit den Stimmungslagen der Natur. Helmut Blažej kann in den Bildern versinken, sich in ihnen vergessen. Das gleiche sollte für die Betrachter gelten. Diese sollen sich darauf einlassen, die Bilder mit Blicken zu durchwandern. Sie können sich auf Spurensuche Helmut Blažejs begeben, ohne sich an die realen Orte der Reise begeben zu müssen.
Mario Berdic
Der Kärntner Maler Helmut Blazej begreift das Kunstschaffen als einen dynamischen Prozess des kontinuierlichen Forschungsunternehmens sowie der Entdeckung neuer Ausdrucksmöglichkeiten, Kunsttechniken und nichtdesto-weniger verschiedener kunstmotivischer sowie thematischer Gebiete. Er bewahrt den ständigen Anschluss an die Realität, die er mit symbolischen Mitteln interpretiert, um sich dadurch immer mehr in die geistlichen Sphären der menschlichen Existenz zu vertiefen.
Das neueste Kunstschaffen von Helmut Blazej wird durch eine Landschaftsmotivik gekennzeichnet, die er mit einem erkennbaren assoziativ-abstrakten Malstil abbildet, unter Verwendung kryptograhpisch-allusiver Zeichen in verschiedenen Formen von Grafismen und Lettrismen (Inschriften in lateinischer Schrift oder sogar Runen). Der Künstler schöpft die Inspiration für seine Landschaftsmalerei zwar aus real existierenden Naturlandschaften, überwiegend aus Österreich, Slowenien, Spanien und der Ukraine, stellt aber zugleich die imaginären geistlichen Räume als Übergangsgebiete zum Jenseits dar. Im Rahmen seiner neuesten Land-schaftsmalerei kommt immer wieder auch die Thematik des Weges vor, die von der Radfahrt des Künstlers nach Gallizien zur Wallfahrtskirche Santiago de Compostela, benannt nach dem neutestamentlichen hl. Jakob, dem Schutzpatron Spaniens, dessen Attribut die Kammuschel darstellt, inspiriert wurde. Wenngleich der Künstler die Verwendung der unmittelbar erkennbaren christlich-religiösen Symbole ver-meidet, um dabei die Universalität seiner künstlerischen Aussage beizubehalten, bedeutet El camino de Santiago jedoch den roten Faden seiner gesamten neuesten Schöpfungsphase. Auf Blazejs Bildflächen verschränken sich tat-sächlich zwei verschiedene Lebenswege. Der erste wird als ein weniger ausgeprägter, niedriger Horizont, durch die waagrechte „X“-Achse des Koordinatensystems in Richtung Ost-West gekennzeichnet, die schon seit jeher als Symbol des Raumes und der Wanderung durch das irdische Leben, d.h. die physische Existenz (vita activa), verstanden wird. Der zweite Weg wird durch die stark ausgeprägte „Y“-Hochachse in Richtung Nord-Süd gekennzeichnet, die neben der Zeitsymbolik auch eine Symbolik der Wanderung durch den geistlichen Raum und der gleichzeitigen seelischen Selbstentwicklung samt Katharsis und Metanoia in der Schlussphase (vita contemplativa) aufweist. Beide Achsen kreuzen sich rechtwinklig und bilden ein euklidisches Raumkreuz, wobei der Schnittpunkt im annähernden Verhältnis des Goldenen Schnitts am häufigsten vom Mittelpunkt nach rechts oder seltener nach links versetzt wird, und zwar in Form eines asymmetrischen lateinischen Kreuzes, da der untere und rechte (bzw. linke) Schenkel wesentlich kürzer ist als der obere und linke (bzw. rechte). Zugleich kann auf einem schmalformatigen Malgrund auch eine zentrale Vertikale mit ergänzter Symbolik auftreten (siehe unten). Das Zentrum des Blazej-Kreuzes stellt also nicht der Mittelpunkt der Kreislinie dar, die man beim gleichschenkligen griechischen Kreuz um-reißen könnte, sondern die vom Mittelpunkt aus abgeleitete Spirale (Helix). Diese bezieht sich auf die Fibonacci-Zahlenfolge und den Goldenen Schnitt, die eine göttliche Anwesenheit in der Schöpfung symbolisieren.
Der dreidimensionale Raumeffekt der Blazej-Landschaften durch die „Z“-Achse wird nicht durch geometrisch-perspektivische Mittel aus-gedrückt, sondern durch die Tiefenillusion der größeren und „schwereren“ monochromatischen Farbflächen. In Blazejs Darstellungen hat der Raum die gleiche Bedeutung wie die Zeit. Diesbezüglich trägt die Kompositionsanordnung der Bildfläche in zwei oder drei Raumebenen, welche die Vergangenheit, Gegenwart und die schon in die Ewigkeit des Jenseits übergehende Zukunft symbolisieren, die entscheidende Rolle. Somit symbolisiert das Blazej-Kreuz stets die Vereinheitlichung von Raum und Zeit, von Himmel und Erde, von diesseitigem und jenseitigem Dasein. Blazej knüpft zugleich an die christliche Bedeutung des Kreuzes als eines Symbols des Märtyrertums und des Leidenswegs (Kreuz + Weg = Kreuz-weg), der Auferstehung und Erlösung an. Das Kreuz kann letztendlich auch die vier philosophischen Elemente (Erde, Luft, Wasser, Feuer) darstellen, die sich in Blazejs spezifischem Kolorit widerspiegeln. An den Vertikalen sieht man stellenweise auch zwei oder drei horizontale, parallel verlaufende, schwarze Linien oder Pflanzenblätter mit besonderer symbolischer Bedeutung, am ehesten in Kombination mit der bereits erwähnten zentralen Vertikale. Die horizontalen Linien wirken als Leiterbalken, die an die christliche ikonografische Motivik der Jakobsleiter bzw. der Träume anknüpfen. Andererseits kann die Leiter als Entwicklungsschritte auf dem spirituellen Weg der Askese, wie sie in der geistigen Schrift „Die Leiter“ des hl. Johannes Klimakos beschrieben wurde, gedeutet werden. Die Träume des alttestamentlichen Erzvaters Jakob führen das Motiv der 15 Leiterbalken (virtutes = Tugenden) ein, auf denen sich die Engel zwischen Himmel und Erde bewegen. Dabei erscheint Gott selbst, um ihm den Segen und den ewigen Bund zu ver-sprechen. Hierbei handelt es sich also um eine seltene alttestamentliche Szene der Theo-phanie. Die Sublimationsleiter oder die Stufen, die durch sieben Sphären durchgehen und die Seele zu ihrem göttlichen Ursprung bzw. zur Sonne (Gold) zurückführen, spielen eine ebenso wichtige Rolle bei den alchemistischen Prozessen der Initiation und Rektifikation (Reinigung). Man sollte erwähnen, dass die Horizonte und Vertikalen in der Regel als Kollage (Papier) oder Applikationen (Textil) dargestellt sind, wobei der Künstler sowohl das Weiße als auch das Graue des Materials beibehält. Die auf die Bildfläche geklebten oder abgedruckten natürlichen Baum- oder Weinrebeblätter stellen die vervollständigte Symbolik der Vertikalen dar, wie der Künstler sie z.B. kürzlich auf der Künstlerkolonie Da Vinci, organisiert vom Weinbau Smavec in Vukovski dol (Hügellandschaft Slovenske Gorice), verwendete. Diese können entweder den Lebensbaum oder arbor vitae, erneut an das christliche Kreuz an-knüpfend (hl. Bonaventura), oder die Symbolik des Weines verkörpern. Die verschiedenartigen roten Nuancen auf Blaæejs Darstellungen be-setzen oft die Stellen des Lokalkolorits, das entweder als glutrote (spanische) Landschaft, zügellose Liebesleidenschaft, oder aber als Blut-und Weinfarbe interpretiert werden kann. Der Wein symbolisiert in der christlichen Tradition das Blut Christi, bzw. seine Aufopferung für die Erlösung der Sünden, wird aber zugleich vom Künstler auch als der Lebenssaft im dionysischen Sinn erfasst. Neben dem roten Kolorit, einschließlich der warmen orangen oder gelben Farbtöne, begegnen wir in Blazejs Landschaften auch den lokalen grünen Nuancen der Flora, die an den Frühling und somit an die ständige Wiedergeburt des Lebens asozieren. Zugleich erscheint in der neuesten Phase auch der blaue Lokalkolorit mit einer mehrdeutigen geistigen Symbolik. Selten treffen wir auf die erdigen Töne Braun oder Ocker. Helmut Blazej ergänzt seine unendlichen Landschaften durch die schon erwähnten, in Kohle gehaltenen, achromatischen Grafismen, bei denen folgende Formen am häufigsten auftreten: eine ein-fache, horizontal oder vertikal verlaufende kurze Linie, die der Künstler oft parallel zu vervielfachen pflegt, eine rechteckige Konstruktion ohne Basis, ein Bogen oder Doppel-bogen sowie zusammengesetzte Formen. Blazejs Landschaften werden zusätzlich durch Abwesenheit der unmittelbar erkennbaren menschlichen Figur gekennzeichnet, die jedoch in stilisierter Form als selbstständige oder zweifache kurze vertikale schwarze Linie identifiziert werden kann und letztendlich auch einen Baum oder einen Pfeiler symbolisiert. Wo drei oder mehrere vertikale Linien in einer Gruppe vorkommen, kann man auf das allusive Zeichen für Bäume (den Wald) oder die Weinrebe schließen. Mehrere horizontale Linien veranschaulichen eine Treppe oder die bereits er-wähnte Leiter. Die rechteckige Konstruktion ohne Basis wirkt auf den ersten Blick als Tor, es handelt sich aber wahrscheinlich um das Symbol der menschlichen irdischen Behausung. Die Symbolik des Tors wird nämlich durch einen halbkreisförmigen Bogen präsentiert, als Über-gang vom Diesseits ins Jenseits, entweder beim Todesfall oder bei den Initiationsritualen, wo der Neophyt über die Schwelle der tieferen Erkenntnis in die neuen geistigen Sphären tritt. Der Doppelbogen ist das traditionelle Zeichen für den Vogel, entweder als Symbol für die ganze Fauna oder als freie Bewegung durch die ätherischen Sphären, ähnlich wie die vom Kör-per befreite Seele.
Offensichtlich geht es dabei um die Wechselwirkung zwischen dem Kreis und dem Rechteck bzw. Quadrat. Außerdem dient die vorliegende Symbolik nur als Orientierung für den Betrachter, da Helmut Blazej möglichst viel von dem kryptograhpischen, verborgenen Charakter seiner künstlerischen Botschaft bewahren möchte. Das Leben ist schließlich ein Mysterium! Im Gegensatz zur Kunsttheorie, weckt die Betrachtung der schwarzen achromatischen Linien in Blazejs Landschaften kein Gefühl von Kälte oder Tod, sondern versprüht Leben, wobei Dynamik und Rhythmus in die Komposition eingebracht werden. Schließlich kann man die Zeichen auch als Notenschrift betrachten, da das bildnerische Gesamtkonzept tatsächlich eine Klangwirkung erzielt, im Sinne eines synästhetischen Zusammenspiels von Farbe, Form und Klang. Neben den radikal stilisierten Zeichen begegnet man auf den Bildflächen auch Buchstaben bzw. Wörtern, mit denen der Künstler seine Landschaften im Sinne eines Reiseberichts auch geografisch definiert, wie z.B. in der spanischen Phase der vorliegenden Bildfolge. In der jüngsten Phase verwendet Helmut Blazej auch Runen (Runa = Geheimnis), wodurch er tiefer in die vorchristliche Ge-schichte Europas eingreift.
Die geheimnisvollen Runen mit 24 Zeichen wurden sowohl von altgermanischen als auch skandinavischen Völkern verwendet, die sie als Inschriften in Holz, Gebeine, Stein, Leder, Tongefäße oder Metallprodukte einschnitzten, nicht nur als Vermerk wichtiger Ereignisse, sondern auch als magische Zeichen. In Blazejs neuester Bildfolge fließen die heidnische und die christliche Tradition ineinander, derer Wechselwirkung sich der Künstler immer mehr bewusst wird. Ein wichtiger Bestandteil des bildnerischen Gesamtkonzepts ist zweifelsohne auch die Unterschrift des Künstlers, die nicht nur die Urheberschaft des Werkes bezeugt, sondern auch seine unmittelbare Anwesenheit in der von ihm abgebildeten Landschaft, d.h. seine Mitwirkung in der Handlung, belegt. Die künstlerische Aussage Helmut Blazejs besitzt äußerste Komplexität und verlangt vom Betrachter seine ganze Aufmerksamkeit und tiefe Überlegung. Zugleich ermöglicht sie mit ihrer bildnerischen Wirkung das Kunstwerk ohne Vorkenntnisse rein ästhetisch zu erfahren, indem sie individuelle, freie Assoziationen anregt.